Vocal Mic Shootout Klangkaserne
Aktualisiert: 21. Jan. 2020

"As soon as I touched the mic, I knew that's what I would do for the rest of my life." - Leslie Jones
Ein überaus romantisches und gleichzeitig stark verpflichtendes Statement, welches Leslie Jones (Comedian) in Bezug auf ihre erfolgreiche Karriere als Stand-up Comedian rausgehauen hat. In ihren Solo-Liveshows greift sie dabei auf das altbewährte Shure SM58 und braucht sich im Gegensatz zu den grossen Gesangssternchen nicht viele Gedanken zu den klanglichen Eigenschaften der an die Eurosat erinnernden Gesangskugel zu machen. Wir wollen jedoch etwas genauer hinter die Pop-Filter der altbekannten Studiowerkzeuge schauen und die Kapseln der einzelnen Klangstäbe auf deren Frequenzspektren testen sowie die Unterschiede anhand eines praktischen Anwendungsbeispiels im Recordingalltag herauskristallisieren.
Die elektroakustische Mixtur

Welche auditorischen Zutaten braucht man jedoch alles für einen aussagekräftigen Vergleichstest? Man nehme zunächst einen akustisch optimierten Aufnahmeraum, eine wundervoll smoothe und klangvolle Frauenstimme, einen handgefertigten Röhrenpreamp aus dem Hause HCL (Hand Crafted Labs), eine reiche Auswahl an unterschiedlichen Gesangsmikrofone, füge das Ganze in einer sternenförmigen Aufstellung zusammen und schmecke den elektroakustischen Cocktail mit einer ordentlichen Prise Neugierde und Spass ab. Et voilà!
Eine Stimme wie Samt und Seide
Die für den Vergleichstest geliehenen Stimmbänder kommen von niemand geringerem als der bezaubernden Livia Spring, welche als eine der vier Ladybirds in vielen Jazzstuben der Schweiz das Publikum zum Mitswingen bringt und mit ihrer souligen Stimme ganze Räume zu füllen vermag. Ausserdem engagiert sie sich als Gesangslehrerin, professionell ausgebildete Sängerin, Chorleiterin, Saxofonistin in vielen musikalischen Projekten und liefert mit ihrer versierten Stimme die besten Voraussetzungen für ein aufschlussreiches Vocal-Shootout. Liebe Livia, vielen Dank an dieser Stelle für deine Zeit, deinen Einsatz und deine Geduld beim Verkabeln und Zuordnen der Mics! Du warst echt spitze! ;-)

Die Schallgladiatoren im Kolosseum Klangkaserni
Obwohl es sich bei unseren Kontrahenten nicht wie bei den frühzeitlichen MMA-Kämpfern aus dem antiken Rom um Leben und Tod dreht, steht bei einer professionellen Recordingsession ebenso viel auf dem Spiel: Anstelle eines sich auf der Tribüne sonnenden, blutrünstigen römischen Kaisers haben wir auf der anderen Seite des Mikrofonkabels ein überaus kritisches und verwöhntes Publikum, welches so manch eine unterdurchschnittliche Performance mit einem gedrehten Daumen quittiert und in die unendlichen Weiten des Internets schickt. Umso wichtiger ist es, die richtige Auswahl des passenden Klangwandlers zu treffen, damit ein Sänger mit seiner Engels- oder Reibeisenstimme so viele Thumb-Ups wie möglich in den heutigen Social-Media-Arenen einheimsen kann. Blicken wir jedoch mal hinter die Gitter- und Drahtgeflechte unserer eingekerkten Klangkämpfer und machen uns ein Bild ihrer speziellen Fähigkeiten.
Vanguard V13 Röhrenmikrofon

Dieses weinfarbene Großmembran-Mikrofon aus dem Hause Vanguard ist aufgrund seines Multipattern-Designs ein äusserst vielseitig einsetzbares Gesangsmic und liefert, ohne mit der Kapsel zu zucken, den für Röhrenmikrofone typischen warmen, vollen Klang. In einer über 3 Jahre andauernden Entwicklungszeit haben hochkarätige Ingenieure aus South-California versucht, altbewährte Technik mit den hochauflösenden Eigenschaften des modernen Mikrofonbaus zu vereinen und das Beste aus beiden Welten herauszuholen. Meiner Meinung nach ist dies der Firma Vanguard vollumfänglich gelungen und mit dem V13 haben sie einen modernen Klassiker geschaffen, der mit seinem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis die Konkurrenz zum Aufhorchen bringt.
Sound: Wow, diese Audiokeule fängt eine Menge Subs ein, gefolgt von wulstigen unteren Mitten und charismatischen Höhen. Mit seinem warmen und gleichzeitig brillanten Klang lässt dieser Bordeaux der Schalltechnik jede Aufnahme transparenter, natürlicher und musikalischer wirken. Jedoch eignet sich dieses Mikrofon nicht für jede Stimme und muss auf die einzelnen Faktoren einer Musikproduktion (Track, Stimmfarbe, Behauptung im Mix, etc.) abgestimmt werden.
Neumann TLM 103 Kondensatormikrofon

Im Gegensatz zum Vanguard V13 wirkt das Grossmembran-Kondensatormikrofon TLM 103 von Neumann mit seiner eher spärlichen Ausstattung (nur eine Richtcharakteristik, keine Spinne im Lieferumfang enthalten, kein Aluminiumkoffer) weitaus nüchterner und unspektakulärer als sein protziger, kalifornischer Gegenspieler. Jedoch hat sich das deutsche Audio-schwergewicht keinesfalls von der Konkurrenz zu verstecken und wo bekanntlich das rote Neumann-Logo drauf steht, steckt auch eine Menge Qualität drin. Im Innern des feinmaschigen Drahtgitters sitzt die Grossmembrankapsel K 103, welche auf der legendären K87-Kapsel der beiden geschichtsträchtigen Arbeitspferde U 67 & U 87 basiert. Eine solide Grundbasis, welche diese abgespeckte Variante der grossen Studioklassiker mit sich bringt.
Sound: Äusserst präzise, neutral, ausgewogen, brillant und direkt werden feinste Details einer musikalischen Performance festgehalten. Aufgrund seines bis zu 5 Khz praktisch linearen Frequenzgangs und seiner Höhenanhebung um 5db ist eine nachträgliche Bearbeitung in jede Richtung problemlos möglich. Es ist kein Charakterkopf, sondern eher ein äusserst nützliches Werkzeug, welches sich gut in einem dichten Mix durchzusetzen vermag und über einen sehr grossen Dynamikumfang verfügt.
Oktava MK-319 Kondensatormikrofon

Das deutlich günstigere Grossmembran-Kondensatormikrofon des russischen Herstellers Oktava erinnert mit seinem etwas verstaubt anmutenden Design zunächst an eine schwarz beschichtete sowjetische Handgranate, welche dir beim Einschalten der Phantomspeisung die Wände deines Studios einreisst. Jedoch zeigt die Praxis, dass das stabile Metallgehäuse und die solide Fertigungsqualität im Studioalltag wertvolle Dienste erweisen und auch die Soundqualität zu überzeugen vermag. Gewisse Abschreiber muss man bei einem Anschaffungspreis von ungefähr 250.-- Euro trotzdem hinnehmen: Die Schalter für die Pad-Regelung und für den High-Pass-Filter sind aus Plastik und sitzen krumm in ihren Halterungen. Mit einer Empfindlichkeit von 13mV/Pa gehört das Mic bestimmt nicht zu den Spitzenreiter seiner Klasse (Neumann TLM 103. 23 mV/Pa) und verträgt auch weniger hohe Schallpegel (SPL Oktava: 122 db SPL Neumann: 138 db) als seine Vorgänger.
Sound: Sehr offener Klang mit manchmal etwas unnatürlich schimmernden Höhen. Entgegen der vielen Stimmen im Internet empfinden wir das Oktava nicht wirklich als dumpf oder glanzlos. Dennoch verfügt es über einen voluminösen Bassbereich, üppige Mitten und kann eine Baritonstimme in einer Recordingsession mühelos glücklich machen.
Shure SM7B Tauchspulenmikrofon

Unzählige Grössen des Showbiz wie Michael Jackson, Sammy Hagar, Bruce Springsteen, Sheryl Crow und James Hetfield haben ihre Stimme der schwarzen Schaumstofflegende von Shure anvertraut und dabei überragende Resultate erzielt! Bei dem ausserdem für Interviews und Broadcast beliebten SM7B handelt es sich um nichts anderes als ein SM57 auf Steroiden. Dank seines massgeschneiderten Frequenzgang eignet es sich ideal für Vocals und weist eine angenehme Dichte auf. Logischerweise kann es aufgrund seiner Beschaffenheit nicht mit der Höhendarstellung und Empfindlichkeit von Kondensern mithalten, muss es jedoch auch nicht! Wegen seiner Robustheit eignet es sich für eine Vielzahl anderer Anwendungen und muss auch nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Dieser Bursche übersteht so manch harten Schlagzeugstocktreffer!
Sound: Mit dem SM7B verbinden viele einen sanften, natürlichen, abgerundeten Sound, welcher eine drastische Nachbearbeitung sanftmütig zulässt. Dank seiner geringen Empfindlichkeit (1.12 mV/Pa) kann es bedenkenlos auch in einer suboptimalen Aufnahmeumgebung verwendet werden. Die Mitten sind deutlich nasaler und weniger schmeichelnd als bei den Kondensern. Dieser schwarze Zylinder lässt eine Stimme nicht auf Überlebensgröße anschwellen, verleiht ihr jedoch den nötigen Rotz & Roll.
Shure Beta 57A Tauchspulenmikrofon

Von der Aufbauart der Kapsel unterscheiden sich die Shure-Brüder kaum. Bei beiden Mics wurde eine Tauchspulenmembran verbaut. Das Design der amerikanischen Klassiker könnte jedoch nicht unterschiedlicher sein. Im Gegensatz zum klobigen schwarzen Knüppel kommt das Beta deutlich schlanker daher. Auch handelt es sich beim 57A nicht primär um ein Gesangsmikrofon, sondern eher um ein Instrumentenmikrofon. Auch die Richtcharakteristik unterscheidet sich von den bereits aufgelisteten Exemplaren. Die Supernieren-Charakteristik soll den Seitenschall nochmals stärker absenken als die normale Niere und ist empfindlicher auf Schall von hinten. Wie wirkt sich das auf die klanglichen Eigenschaften aus?
Sound: Das Mikrofon verfügt über deutlich weniger Bassanteile und "Dreck" als ein SM57, punktet dafür mit einer insgesamt brillanteren Signalübertragung. Auch dieses Mikrofon liefert die für Shure typischen nasalen oberen Mitten und kann sich dank seiner aggressiven Präsenz in einem Mix ebenso gut behaupten. Bei der Räumlichkeit müssen jedoch Abstriche gemacht