"Learning to play with a big amplifier is like trying to control an elephant." - Ritchie Blackmore
Beim Umlegen des Standby-Schalters des muskelbepackten High-Gain Monsters mit dem eher etwas unmaskulin und verstaubt anmutenden Namen "Herbert" kommen einem unzählige Assoziationen in den Sinn, welche eher an eine übergrosse, blutrünstige und wild um sich schlagende Kreatur aus der Hölle erinnern, als an einen gutmütigen Dickhäuter, welcher mit seinem praktischen Rüssel und seinen grossen Ohren unzählige Kinderaugen im Zoo zum Strahlen bringt. Doch zu Zeiten von Ritchie Blackmore und seinen violetten Jungs sind noch keine 180 Watt Röhrenboliden mit unfassbaren Gain- und Headroom Reserven auf die unschuldigen Ohren der treuen Rock-Gemeinde abgefeuert worden. Sorry Ritchie, aber im 21. Jahrhundert geht es noch höher, grösser und unvernüftiger. Das Bändigen dieser teutonischen Abrissbirne gestaltet sich entsprechend schwieriger als die vegetarischen Riesen mit Erdnüssen zu verführen und fordert das ganze Fingerspitzengefühl erfahrener Röhren-Röstmeister. Diese in einem stylisch verpackten Chassis enorme Leistungspotenz fordert auf der anderen Seite ihren Tribut: Mit seinen 25 KG Eigengewicht gehört dieses Schwergewicht zu den von der SUVA gefürchteten, gesundheitsschädigenden Arbeitsgeräten, welche unter Musikern für krumme Rücken und gespaltene Bandscheiben sorgen. Da spricht doch einiges für eine Anschaffung der momentan sich en vogue befindenden Amp-Modulationen von Kemper, Axe-FX und co. Ist es diesen Herstellern jedoch gelungen, alle Aspekte eines gut klingenden Röhrenamps in eine digitale Version zu packen und den einzigartigen Sound eines voll aufgedrehten, heftig zerrenden und Hosenflattern auslösenden Röhrenamps einzufangen? Wir werden es anhand eines Direktvergleichs zwischen dem echten Röhrenamp von Diezel und seiner von Brainworx veröffentlichen Emulation herausfinden! Let's jump right into it!
Der Röhrengott und sein modulierter Antagonist
Für jene in anderen Bereichen abstrusen Auswüchse unserer in sich gipfelnden dekadenten Gesellschaft wie die zivile Aufrüstung mit panzerähnlichen, im Individualverkehr auf vier Räder rollenden Luxuskarossen zeigt sich das deutsche, vierköpfige Familienunternehmen weitaus umweltbewusster und bescheidener als die vom ewigen Wachstum geprägte und unnötig künstliche Bedürfnisse erschaffende Automobilindustrie. Bei einem stattlichen Anschaffungs-preis von knapp Fr. 3'000.-- handelt es sich gemessen an einem eher knappen Musiker-Budget eher um eine Investition fürs Leben, welche einem lange grosse Freude bereiten soll und definitv nicht in die Kategorie der Wegwerfprodukte gehört.
Das innovative Team um Peter Diezel beruft sich auf die Wurzeln der Stromgitarren-musik ohne bei der Verarbeitung, Technik und beim Sound irgendwelche Kompro-misse einzugehen. Die Produkte sprechen dabei für sich selbst und lassen der anspruchsvollen Gitarristengemeinschaft keine Wünsche offen. Ähnlich kompro-misslos und ambitioniert zeigt sich auch der 3-kanalige Wunderamp "Herbert", welcher mit seiner einmaligen Midcut Funktion die Wände unzähliger Probestuben zum Wackeln bringt und einen schonungslosen rauen, für tiefgestimmte 7-saitige Klampfen idealen Krachton liefert, der dir die Zehennägel unmittelbar beim Anstimmen des ersten Akkords nach hinten rollt.
Mit den im Übermass vorhandenen Headroom-Reserven bleibt der Klang des mit 6 Endstufenröhren handgefertigten Amps durchgehend straff und definiert. Auch bei extremen Lautstärken geht der Herbert nicht in die Knie und kann sich gefühlsmässig problemlos gegen einen durchstartenden Düsenjet behaupten. Dies ist mitunter auch der Grund dafür, weshalb dieser Verstärker genreübergreifend seine Anhänger findet und von Grössen wie Richie Sambora, Myles Kennedy, Mark Tremonti und vielen weiteren grossen Sternchen gespielt wird. Diese kolossale Kraft erfodert auf der anderen Seite eine sehr präzise Spielweise, da der Röhrenkopf extrem fein auf dynamische Unregelmässigkeiten reagiert und ebenso schonungslos kleine Fauxpas widergibt. Deswegen mag es nicht erstaunen, dass viele Gitarristen die Höhen dieses Terminators unter den Röhrenamps je nach Einstellung mit "piercing icepicks" vergleichen.
Der digitale Zwillingsbruder von Brainworx
Seit der Veröffentlichung der 180 Watt Krachbox im Jahre 2005 sind viele Jahre verstrichen und mit dem Aufkommen der digitalen Amp-Emulationen ist auch der dringliche Wunsch nach einem brauchbaren out-of-the-Box, Hirnhälften spaltenden Heavy-Metal-Kreissäge-Ton innerhalb der aufblühenden Bedroom-Gitarristen-Szene gewachsen. Da haben die Jungs von Brainworx nicht lange gezögert, die Marktlücke erkannt und sich nebst ihrer vielen äusserst erfolgreichen Emulationen an die Entwicklung zweier Diezel Amp-Simulation-Plugins gemacht, welche die anspruchsvollen Ohren vieler böser, bis unter die Zähne besaiteten Djent-Jungs glücklich machen sollen. Ist es ihnen jedoch gelungen auch mich zu überzeugen? Wenn sich selbst Erfinder und Visionär, Peter Diezel auf der offiziellen Brainworx Seite total begeistert zur Simulation äussert und gleichzeitig versichert, dass der digitale Bruder wie sein Strom fressender und Röhren verschlingender grosser Rabauke klingt, muss doch was dran sein.
Auch die unzähligen guten Reviews haben mich als grosser Fan der deutschen Verstärker-Schmiede dazu veranlasst, beide Modelle (VH4 & Herbert) anzutesten und mich bereits gedanklich von meinen treuen, analogen Kollegen zu verabschieden. Ist doch super, dann muss ich mir keine Sorgen mehr um teure Reparaturen, zeitaufwendige Aufnahmen mit unzähligen Mic/Preamps Kombinationen und meinen geschändeten Rücken machen. Zu voreilig?
"The plugin version of the Herbert captures the tone of the real amp. Brainworx did a great job!" - Peter Diezel
Technische Daten des Plugins:
Das optisch ansprechende Plugin von Brainworx wird im Gegensatz zur UAD Version in einem native Format angeboten und kann systemunabhängig direkt beim Aufnehmen oder bei der Nachbearbeitung eingesetzt werden.
Gleich wie die analoge Version bietet das Plugin 3 Channels (Clean, Crunch, High-Gain)
Wie bei allen Emulationen von Brainworx hat auch der Herbert ein FX Rack mit einem lo-fi Delay, Noise-Gate, Power soak, Pre and Power Amp Bypass
Zusätzlich bietet die digitale Version 120 Recording Chains, welche mit der legendären Neve VXS 72 Konsole aufgenommen wurden.
Das Aufeinandertreffen zweier Welten
Recording-Chain Diezel Herbert (analog)
Glücklicherweise sind wir genügend gut ausgerüstet und verfügen über gute Preamps, einer 4x12 original Diezel Box mit V30's, Vovox Instrumentenkabel und erstklassige Mikrofone, welche für einen aussagekräftigen Test absolut notwendig sind. Für den Bizepsvergleich haben wir erstmals den P-Split III von Lehle angwendet und das von meiner PRS Custom 24 ausgehende Gitarrensignal gesplitet.
Das einte Signal haben wir in den Hebert Head eingespiesen und darauf auf das 4x12 Cabinet geschickt. Alle Regler der 3 Kanäle haben wir in der ursprünglichen Stellung auf 12 Uhr belassen und bei moderater Lautstärke den Live-Raum mit Gitarren-klänge zu Megadeths Nummer "Tornado of Souls" geflutet.
Das Lautsprechersignal haben wir daraufhin mit einem Bändchenmikrofon vom amerikanischen Hersteller Cascade und einem dynamischen Mikrofon von Shure (SM57) eingefangen, anschliessend mit unserem Preamp "Oleksander" von HCL (Hand Crafted Labs) verstärkt und zuletzt unbearbeitet in unser Apollo 16 von Universal Audio gespiesen.
Recording-Chain Diezel Herbert (digital)
"Gitarre aufdrehen, Kabel in die DI-Buchse stecken und schon donnern die ersten fetten, verzerrten Gitarren aus den Studio-boxen." Mit der äusserst praktischen und leicht zu bedienenden Splitbox von Lehle ist es uns gleichzeitig möglich gewesen, dieselbe Performance für den Vergleich-stest heranzuziehen und beide Signale gleichzeitig aufzunehmen. Dazu haben wir für die digitale Variante das trockene Gitarrensignal via DI Eingang unseres Apollo Twins MKII eingefangen und im Anschluss an die Aufnahme das Plugin von Brainworx auf sämtliche Spuren draufgehauen. Auch hier haben wir alle Regler auf 12 Uhr belassen und die Diezel Box ausgewählt.
Zwischenbilanz
Bei der Auflistung der verwendeten Studiogeräte werden einem schon die ersten Stärken und Schwächen der einzelnen Ausführungen des Herberts eindrücklich vor Augen geführt. Die äusserst einfache und praktische Vorgehensweise via DI-Eingang eines handelsüblichen Interfaces ist hier im Vergleich zur traditionellen Variante klar im Vorteil und hat seine Vorzüge, wenn der getriebene Schöpfergeist eines Gitarristen in seltenen Fällen von der Muse geküsst wird und man in windeseile die geniale Idee einfangen und verewigen möchte, bevor die ganze Magie verloren geht. Dieser Punkt geht schon mal an die Jungs von Brainworx, bravo! Wie sieht's aber beim Sound aus? Kann dort die digitale Variante ebenso punkten? Hören wir rein!
Sound on Sound
Für mich als Studiobesitzer und Audio-philiac geniesst der Sound oberste Priorität. Bei einer Aufnahme will ich den authentischsten, kraftvollsten, dreckigsten, saftigsten, schimmerndsten und best klingendsten Ton einfangen, der mir mein aktuelles Arsenal an Recordingutensilien bieten kann. Ob dieser nun aus einer digitalen Emulationsbox kommt oder ein mit zwei dicken Trafos bestücktes Topteil dafür herhalten muss, ist mir schlussendlich egal. Eine solche Ausgangslage differiert stark von der eines touring Gitarristen, der mit möglichst wenig Aufwand konstant gute Resultate erzielen und nicht jedes Wochenende wegen geschlissenen Röhren zum Amp-Doktor rennen möchte . Damit wir die einzelnen Klangeigenschaften der beiden Zerrkisten direkt in einem Full-Stereo-Mix vergleichen können, haben wir den anspruchsvollen Solo-Teil von Megadeth's Klassiker "Tornado of Souls" neu vertont und die Emulation gegen das Original antreten lassen. Sämtliche Regler haben wir in ihrer Ursprungsposition belassen, damit wir den Grundcharakter der beiden Versionen heraushören können. Welche Version kann sich besser in einem dichten Mix behaupten? Hier der Vergleich:
Ein Blick auf den EQ Chart
Obwohl wir Soundengineers primär unseren Ohren trauen sollten und die alleinige Abbildung irgendwelcher Frequenzgänge bei der Beurteilung der Klangqualität nicht genügend aussagekräftig ist, möchte ich es mir hiermit nicht nehmen lassen, zusätzlich einen Blick auf die unterschiedlichen Frequency-Charts beider Signale zu werfen. Was sich bereits rein akustisch herauskristallisiert hat, kann auch mithilfe des Fabfilter Pro Q’s abgebildet werden: Das originale Röhrentopteil (die weiss abgebildete Linie) verfügt in einem voll abmikrofonierten Setup über mehr schimmernde Höhen und druckvollere Bässe. Auch gehe ich davon aus, dass es sich bei den abgebildeten Höhen um 20'000 Hz um das Eigenrauschen des Amps handelt. Die Emulation hat ausserdem einen deutlichen Einbruch im Frequenzganz bei 4’000 Hz, ansonsten können nicht viele grafische Unterschiede hervorgehoben werden. Liefert diese grafische Darstellung den eindeutigen Beweis dafür, dass die Emulation 1:1 gleich klingt wie das Original? Bei Weitem gefehlt!
Fazit
Kann ich jetzt zusätzlichen Platz in meinem Studio schaffen, komplett auf digitale Emulationen umsatteln und die schweren, dicken Kisten auf Ebay verscherbeln? Nein, die klanglichen Resultate haben meine persönliche Vorahnung bestärkt, dass die analoge der digitalen Technik überlegen ist, zumindest was den Sound betrifft! Der Röhrenamp kann sich im Mix besser behaupten. Er klingt transparenter, druckvoller, dynamischer und verfügt über die natürlicheren Höhen. Die Emulation wirkt im Vergleich zum Original boxy, schwammig und liefert nicht annähernd den für den Herbert typischen, druckvollen Sound. Lohnt es sich trotzdem die Diezel-Emulation anzuschaffen? Auf jeden Fall! Die einfache Bedienung und die Möglichkeit, jederzeit seine kreativen Einfälle direkt mit einer anständigen Soundqualität zu verewigen, bietet deutliche Vorteile zur analogen Variante und gibt jedem Hard & Heavy Songwriter ein geeignetes Werkzeug zur Albumproduktion in die Hand.
"Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch!"
Die in vielen Audioforen angeheizten und teilweise auch wutentbrannten Diskussionen zu den Unterschieden zwischen analoger und digitaler Aufnahmetechnik, sind aus meiner Sicht hinfällig, da sich beide Welten im besten Falle ergänzen und nicht ausschliessen. Deswegen setzen auch wir bei unseren Aufnahmen auf beste analoge Geräte, welche die Räumlichkeit, Tiefe und Wärme einer Produktion liefern und vereinen diese mit der einfachen Bedienung und der komplett wiederrufbaren, digitalen Aufnahmetechnik von marktführenden Plugins.
Brainworx
+ Günstig im Vergleich zur Hardware
+ Portable Aufnahmemöglichkeit
+ Qualitative Effektspur
- Soundqualität
Diezel Herbert
+ Überragende Soundqualität
+ Viele Klangfarben (unterschiedliche Mics, Preamps, etc.)
+ Genügend Power, um sich im Bandkontext durchzusetzen
- Preis
- Gewicht
P.S. Wenn euch dieser Vergleich überzeugt hat und ihr auch in den Genuss eines voll aufgedrehten Röhrenamps kommen wollt, dann meldet euch bei mir. Wir bieten auch ein Reamping eurer DI-Spuren an.
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