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Ribbon Mic vs. Large Diaphragm Mic

Aktualisiert: 27. Dez. 2019



Das akustische Armwrestling zweier Audioriesen


Obwohl ein Vergleich zwischen diesen beiden komplett unterschiedlichen Mikrofonarten zunächst unsinnig scheint und die Klangeigenschaften nicht gegensätzlicher sein könnten, haben wir es nicht sein lassen können und haben den chinesischen Voodoo-Drachen gegen den deutschen König der elektroakustischen Wandlertechnik, Georg Neumann, antreten lassen. Ein Kräftemessen, welches einer Gegenüberstellung eines nuklearbetriebenen Jagd-U-Boots mit einem schalldurchbrechenden Himmelsgleiter der Luftwaffe gleichkommt und keinen klaren Sieger im Kampf um die Vorherrschaft der Schallwellen hervorbringt. Jeder dieser Klang-konservierer ist Experte auf seinem besonderen Fachgebiet und verfügt über einzigartige Eigenschaften, welche in Kombination mit anderen akustischen Zutaten und Aufnahme-instrumenten die Basis für ein ausgewogenes, harmonische Klangbild einer Aufnahme bilden.


Anhand dieses Experiments werden die einzelnen Stärken und Schwächen abgebildet und wertvolle Einblicke in die konkreten Einsatzgebiete der getesteten Geräte gewährt. Die Resultate sprechen Bände und lassen zukünftige Entscheidungen, was die Wahl des geeigneten Mikrofons für herausfordernde Studioanwendungen anbelangt, leichter treffen. Widmen wir uns jedoch zuvor ein wenig der Mikrofontechnik und werfen wir einen Blick auf die unterschiedlichen Polar-Patterns der Schallaufnehmer und lüften das Rätsel, weshalb die beiden Studioarbeitstiere so unterschiedlich klingen:


Richtcharakteristiken


Acht (bi-direktional)


Die für Bändchenmikrofone typische Richtcharakte-ristik der Acht ist auch fixer Bestandteil der akustischen Bauform der Kapsel des aktiven Voodoo VR2 Klangstabs der Firma sE Electronics. Die Bauweise und die Abhängigkeit der Empfindlichkeit des Mikrofons haben jedoch wenig mit dem angsteinflössenden, afrikanischen Voodoo-Zauber zu tun. Vielmehr bedeutet dieses Pattern, dass die Schallquellen von vorne und hinten gleichberechtigt aufgenommen werden, während der Schall von den Seiten extrem stark unterdrückt wird. Der Vorteil dieser Richtcharakteristik ist, dass viele Informationen über den Raum aufgrund von Schallreflexionen erfasst werden und sich diese Mikrofone besonders gut für fortgeschrittene Stereotechniken wie Blumlein (gekreuzte Acht) oder Mitten/Seiten-Stereofonie eignen. Gleichzeitig ist es möglich, zwei sich gegenüberstehende Sänger/-innen im Studio aufzunehmen. Ein somit unverzichtbares Werkzeug für eine perfekte Studioaufnahme.


Niere (uni-direktional)


Das silberne Kraftpaket aus dem Hause Neumann bedient sich im Gegensatz zum VR2 der vielseitig einsetzbaren Nierencharakteristik. Egal ob im Studio oder im Livebetrieb, mit dieser am häufigsten eingesetzten Richtcharakteristik kriegt man "isolierte", "nahe" und "trockene" Signale, welche sich insbesondere für Gesangs- oder wenig räumlichen Instrumentalaufnahmen eignen. Durch die technischen Vorteile dieser Mikrofonart kann eine Schalquelle gezielt aufgenommen und gleichzeitig mögliche Rückkoppelungen vermindert werden. Das TLM 103 ist dementsprechend ein Mikrofon, das besonders gut hinhören kann. Es ist am empfindlichsten auf frontal eintreffenden Schall, während Seitenschall weniger stark erfasst und rückwärtiger Schall stark unterdrückt wird. Wie bei allen anderen gerichteten Mikrofonen verfügt auch die transformatorlose Neumann-Flasche über einen angenehm klingenden Nahbesprechungseffekt, welcher dünn klingende Stimmen ordentlich anfettet und den Bassbereich vorteilhaft anhebt.


Persönlicher Eindruck


Neumann TLM 103

Alleine das ordentliche Gewicht (500 g) dieses kompakten Audio-Kalibers mag beim ersten Anfassen erstaunen und hinterlässt trotz seiner geringen Grösse einen sehr hochwertigen Eindruck. Der edle Nickel-matt-Look sowie das rote Neumann-Logo lassen Audio-Herzen höher schlagen und signalisieren den persönlichen Eintritt in die Liga der High-End-Studiomikrofone. Die für Neumann typische, erstklassige Verarbeitung deutet bereits darauf hin, dass dieser kleine Klangwürfel viele Jahre seine treuen Dienste im Studioalltag verrichten wird ohne nur einmal die Reparaturwerkstatt von innen zu sehen. Pikantes Detail: Im Innern des feinmaschigen Drahtgitters sitzt die Großmembrankapsel K 103, welche auf der legendären K87-Kapsel der beiden geschichtsträchtigen Arbeitspferde U 67 & U 87 basiert. Diese moderne Klangalternative zum U 87 führt die handwerkliche Tradition des Mikrofonherstellers konsequent fort und liefert gewohnt fortschrittliche Klangqualität zu einem erschwinglicheren Preis als die Teurofone,


Klang

Wie das puristische Design bereits verraten lässt, stehen die klanglichen Eigenschaften dieses beinahe rauschfreien Klangwandlers (7 dB-A) im Vordergrund. Äusserst präzise, neutral, ausgewogen, brillant und direkt werden feinste Details einer musikalischen Performance festgehalten. Mit anderen Worten treten alle Einzelheiten eines Signals hervor und sofort werden die kleinsten Fehler und Schwächen eines Musikers hörbar. Kein Mikrofon für Technik-banausen, welche ein rotziges Charakter-monster suchen. Hier werden deine spielerischen oder gesanglichen Fähigkei-ten auf die Probe gestellt und 100 % ehrlich wiedergegeben. Die Transiente springen einem regelrecht ins Gesicht und der riesige Dynamikumfang von 131 dB dieses Audio-würfels erfasst jegliche Schallquellen (vom sanften Flüstern bis zum donnernden Schlagzeug). Manchmal klingt es aus meiner Sicht aufgrund seiner neutralen Abbildung der Frequenzen (insbesondere im Bassbereich) ungewohnt eckig, kantig und unspektakulär nüchtern. Hinzu kommt, dass das Mikrofon aufgrund seiner Richt-charakteristik sehr trocken und eindimen-sional wirkt.


sE Electronics Voodoo VR2

Der chinesische Klangstab kommt in einem eher weniger ästhetisch ansprechenden Gewand als der edle Ton-Teutone daher. Auf den ersten Blick verleiht er auch nicht den gleich hochwertigen Eindruck wie das deutsche Audio-Schwergewicht. Nichtsdestotrotz weist der Voodoo Zauberstab aus dem Fernen Osten eine ebenso überragende Fertigungsqualität wie sein Gegenspieler vor und punktet zusätzlich mit einer robusten Mikrofonhalterung. Das weitaus sensiblere Bändchen-mikrofon verfügt über ein solid wirkendes Metallgehäuse und Chefdesigner, Siwei Zou, hat mit der länglichen Form des Mikrofons ein äusserst vielseitiges Arbeitsinstrument geschaffen, welches auch an die unzugänglichsten Stellen eines Instruments herankommt. Das Innenleben des Mics besteht aus einem Materialmix aus einer Metallplatte und mehreren Schichten aus feinmaschigem Drahtgeflecht sowie einer sechsreihigen Bohrung auf der Front- und Rückseite, welche die sonst unüblichen Höhen eines Bändchenmikrofons herbeizaubern soll.


Klang

"Warm, natürlich und einschmeichelnd sanft." Diese Attribute kommen mir als erstes in den Sinn, wenn ich den Klang dieses modernen Bändchenmikrofons beschreiben müsste. Ein Mikrofon, welches einer Aufnahme aufgrund seiner 8-er Richtcharakteristik in Handumdrehen eine ordentliche Schippe Dreidimensionalität hinzufügt, den Bassbereich sauber wiedergibt und die Höhen auf eine wunderbare Weise glättet, dass eine nachträgliche Bearbeitung nur minimal notwendig ist. Alles andere als verstaubte Studio-Technik vergangener Jahrzehnte. Ganz im Gegenteil: Dank des speziellen Kapselgehäuses bleiben die Höhen ab 5000 khz präsent und werden nicht wie bei einem Bändchenmikrofon sonst üblich abgesenkt. Zusätzlich sorgt die aktive Verstärkerelektronik für eine erhöhte Empfindlichkeit des Mikrofons und ermöglicht praktisch rauschfreie Aufnahmen auch von leisen Signalquellen. Mit diesen idealen Voraus-setzungen lässt sich dieser chinesische Schallwandler in vielzähligen Studiosituationen erfolgreich einsetzen und liefert die für eine Produktion notwendige Farbe und Authentizität.


Fazit

Zweifelsohne brillieren beide Mikrofone in ihren jeweiligen Disziplinen und garantieren erst-klassige Ergebnisse in unzähligen Aufnahmesituationen. Der germanische Traditionshersteller ist unangefochtener Spitzenreiter, was den Dynamikumfang eines Mikrofons betrifft und gilt als Experte für die Aufzeichnung kleinster Finessen einer Performance. Das Voodoo Bändchen-mikrofon agiert auf der anderen Seite weitaus sanftmütiger und lässt Transiente und schrille Frequenzen unter Beimischung seiner einzigartigen akustischen Eigenschaften fürs Ohr angenehm klingen. Es ist deswegen Aufgabe des Tontechnikers die richtige Wahl des passenden Werkzeugs zur Aufzeichnung von Audiosignalen zu treffen und auf den musikalischen Kontext anzupassen, was ein gewisses Grundverständnis über die einzelnen Klangcharakteristiken und Polarpatterns voraussetzt. Im konkreten Beispiel einer Schlagzeugaufnahme bevorzuge ich klar die Eigenschaften des Bändchenmikrofons, da es sich aufgrund seiner räumlichen Darstellung ideal für die Aufnahme eines Schlaginstruments eignet und detailliertere Informationen zu den Frequenzbereichen und Schallreflexionen des Instruments liefert. Es verleiht dem Schlagzeug den nötigen Druck, stellt eine natürliche Balance zwischen den einzelnen Elementen her und fügt der Aufnahme eine ordentliche Portion Rotzigkeit hinzu. Ausserdem werden die schrillen Anteile der Schlagzeug-Becken gekonnt gedämpft und die Bassfrequenzen leicht angehoben. Selten hat sich ein Mikrofon als derart nützlich und für eine Aufnahme unverzichtbar heraus-gestellt wie dieses Ribbonmic. Ich mache deswegen kein Geheimnis daraus und bekenne mich als grosser Fan von Ribbon-Mics und plane bereits in naher Zukunft ein Stereopaar ins Grundinventar der Klangkaserne aufzunehmen. Macht euch jedoch selbst ein Bild von den tonalen Eigenschaften dieser beiden Audiogeschütze und hört in die Soundcloud-Samples rein. Viel Spass dabei!



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